Berufsunfähigkeit: Die Tücken der „50-Prozent“-Klausel

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Wer eine Berufsunfähigkeitsrente erhalten will, darf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit zu mehr als 50 Prozent nicht mehr ausüben können. Doch wann ist das der Fall?

29 Jahre lang hat sie zusammen mit ihrem Mann eine Frauenarztpraxis betrieben. Dann ließen die Kräfte nach. Bereits im Jahr 2013 verkaufte eine heute 61-jährige Gynäkologin daher die Hälfte ihres Vertragsarztsitzes und reduzierte ihre Arbeitszeit deutlich. Während sie zuvor an vier Tagen pro Woche zwischen zehn und zwölf Stunden Dienst getan hatte, lag ihr Stundendeputat nun nur noch bei 15 bis 20 Stunden pro Woche.

Trotz dieser Entlastung litt die Frau weiterhin und zunehmend unter physischen und psychischen Problemen. Sie beantragte daher bei ihren drei Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen die vereinbarte Rente.

Ein von einer der Gesellschaften in Auftrag gegebenes Gutachten ergab, dass bei der Ärztin eine leichten bis mittlere depressive Phase vorlag. Sie könne daher nur noch 15 bis 20 Stunden pro Woche arbeiten.

Welcher Maßstab entscheidet?

Da die Frau zuletzt jedoch auch schon nur 20 Stunden pro Woche gearbeitet hatte, sah der Versicherer die Voraussetzungen für die Zahlung der Rente nicht erfüllt. Die Berufsunfähigkeitsversicherung setze stets einen BU-Grad von mindestens 50 Prozent voraus. Dieser sei vorliegend aber nicht erreicht.

Die Frau klagte – und gewann sowohl vor dem Landgericht Gießen als auch vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt (Az: 7 U 113/20). Dabei argumentierten beide Gerichte, dass die Frau schon länger unter Schmerzen gelitten habe und deshalb die Hälfte ihres Kassensitzes verkauft habe. Dies aber dürfe der Versicherer nicht zu seinen Gunsten berücksichtigen.

Wörtlich heißt es beim OLG: „Der Versicherungsfall in der Berufsunfähigkeit stellt kein punktuelles Ereignis dar, ein schlagartiger Leistungsabfall ist nicht die Regel.“ Dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens altersbedingt sowie aufgrund von Erkrankungen und Verletzungen Beeinträchtigungen erleiden könne, die sich auf seine berufliche Leistungsfähigkeit auswirken, habe nicht zur Folge, dass sich der bedingungsgemäß festgelegte Grad der Berufsunfähigkeit an einem fortlaufend sinkenden Leistungsniveau des Versicherten orientiere. Denn damit, so das Gericht, wäre die Berufsunfähigkeitsversicherung entwertet.

50 Prozent Vergleich mit der guten alten Zeit

„In den Fällen eines langsam fortschreitenden Leidensprozesses oder Kräfteverfalls würde häufig der Versicherungsfall nicht eintreten, obwohl die Beeinträchtigung des Versicherten, gemessen an seiner Leistungsfähigkeit in gesunden Tagen 50 Prozent längst erreicht oder gar überschritten hat“, so das Gericht.
Maßgeblich für Beurteilung der einer Berufsunfähigkeit ist damit stets die letzte konkrete Berufsausübung, so wie sie noch in gesunden Tagen ausgestaltet war. Entsprechend war die Arbeitszeit im konkreten Fall nicht mit 15 bis 20 Stunden pro Woche, sondern mit 40 bis 48 Stunden anzusetzen. Dadurch hatte die Ärztin den Berufsunfähigkeitsgrad von mehr als 50 Prozent erreicht. Die Versicherer mussten zahlen.

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