Folgenschwere Missgeschicke von Ärzten – zahlt die private Unfallversicherung?
Er sollte einen kleinen Eingriff an der Lippe vornehmen. Bei der Vorbereitung der Mini-OP geht aber alles schief: Der Arzt sticht seinem Patienten versehentlich mit der Spritze ins Auge. Die Folgen sind weitreichend. Doch zahlt die private Unfallversicherung?
Eigentlich war es ein Routine-Eingriff. Ein Mann wollte sich von seinem Arzt ein erbsengroßes Lipom am rechten Mundwinkel entfernen lassen. Solche gutartigen Tumoren des Fettgewebes sind harmlos, beeinträchtigen aber vielfach das Wohlbefinden der Patienten.
Mehr Wohlbefinden verschaffte der Arzt seinem Patienten im konkreten Fall aber nicht. Im Gegenteil. Als der Arzt die Unterlippe des Mannes betäuben wollte, rutschte ihm die Spritze aus der Hand. Die Nadel landete im linken Auge des Patienten und blieb dort stecken. Der Mann musste in eine Augenklinik gebracht und operiert werden. Er leidet bis heute unter den Folgen des Unfalls.
Unfall oder Heilmaßnahme?
Als er den Schaden seiner Unfallversicherung meldete und die Zahlung von 58 000 Euro verlangte, verweigerte diese jedoch die Regulierung des Schadens und verweis auf eine Ausschlussklausel in den Versicherungsbedingungen. Dort ist unter Ziffer 5.2.3. geregelt, dass Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen nicht versichert sind.
Der Kunde wollte das nicht hinnehmen und argumentierte, die Klausel sei nicht einschlägig, da der Schaden an seinem Auge nicht durch eine Heilmaßnahme entstanden sei. Vielmehr sei dem Arzt die Spritze bereits vor Beginn des Eingriffs aus der Hand gerutscht. Überdies sei eine Heilmaßnahme auch deshalb zu verneinen, weil er nie eingewilligt habe, eine Spritze ins Auge zu erhalten.
Der Fall wurde streitig.
LG Offenburg: Ausschlussklausel ist einschlägig
Vor dem Landgericht Offenburg hatte der Mann mit seiner Klage gegen die Unfallversicherung keinen Erfolg. Das Gericht befand vielmehr, dass die Gesellschaft sich zurecht auf die Ausschlussklausel berufen hat und deshalb nicht zahlen muss (Az.: 2 O 425/20).
Die Gesundheitsschädigung des Patienten sei die adäquate Folge einer Heilmaßnahme. Als solche seien ärztliche Handlungen auch dann zu bewerten, wenn sie mit dem Einsatz von Medikamenten oder technischen Hilfsmitteln verbunden sind. Im konkreten Fall habe die Heilmaßnahme spätestens in dem Moment begonnen, in dem der Arzt mit der Betäubungsspritze in Richtung Gesicht des Klägers ansetzte.
Auch habe sich im konkreten Fall eine Gefahr verwirklicht, die für die Heilmaßnahme typisch ist. Es liege nicht völlig außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass einem Arzt ein medizinisches Präzisionsinstrument entgleitet. Darüber hinaus habe sich auch die Gefahr verwirklicht, die der durchgeführten Maßnahme eigentümlich ist.
Spritzen seien in der Regel kleine, spitze Gegenstände, die leicht aus der Hand rutschen und gerade aufgrund ihrer bestimmungsgemäßen objektiven Gefährlichkeit unbeabsichtigte Begleitschäden verursachen können. Damit war die Ablehnung der Leistung durch die Versicherung rechtens, der Kunde ging leer aus.
Kommentar von Jürgen Wahl, Fachanwalt für Versicherungsrecht:
Die Entscheidung zeigt, welch schwierige Abgrenzungsfragen sich bei den ungewollten Folgen ärztlicher Behandlungen ergeben können. Denn der Leistungsausschluss in der Unfallversicherung greift nicht, wenn der Schaden nur zufällig mit der Heilmaßnahme in Zusammenhang steht. Im Zweifelsfall lohnt es sich, frühzeitig eine Beratung bei einer Kanzlei für Versicherungsrecht in Anspruch zu nehmen.
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